Der djihadistische Islamismus als

der neue Totalitarismus des 21. Jh.

von Bassam Tibi

arl Popper hat in seinem Werk über die „Offene Gesellschaft und ihre Feinde“ argumentiert, dass es zur Toleranz gehöre, die Intoleranz totalitärer Kräfte nicht zu tolerieren. Hannah Arendt hat Bewegungen und Herrschaft dieser Feinde der offenen Gesellschaft studiert und ihre politischen Systeme totaler Herrschaft, in denen die Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre abgeschafft wird, mit dem Begriff Totalitarismus bezeichnet. Sie versteht darunter nicht nur eine bereits existierende totalitäre Herrschaft, sondern auch Bewegungen, die noch nicht an der Macht sind, aber diese Herrschaftsform errichten wollen.

Auf der Basis einer länger als ein Vierteljahrhundert andauernden Beschäftigung mit dem Islamismus finde ich all das, wovor Sir Karl Popper und Hannah Arendt nach dem Sieg über den NS-Faschismus warnten, in der Ideologie des Islamismus enthalten. Dies reicht vom neuen Antisemitismus bis hin zur Ordnung einer totalen Diktatur. Die Toleranz, die gegenüber der toleranten Religion des Islam gelten soll, darf daher nicht auf den intoleranten Islamismus und seinen Djihad-Terrorismus übertragen werden, bei dem es sich nicht nur um eine Bedrohung für den Westen, sondern auch für freiheitsliebende Muslime handelt.



Vom Djihad zum Terror

Wir müssen zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als Spielart des religiösen Fundamentalismus unterscheiden. Diese Ideologie geht aus einer Politisierung des Islam hervor und betreibt eine Art „Erfindung der Tradition“ (Eric Hobsbawm). Durch die Neudeutung wird der klassische islamische Djihad zu einem Djihadismus des irregulären Krieges; er dient als Instrument der Verwirklichung islamistischer totalitärer Herrschaft.

Den k1assischen Djihad kann man als „Anstrengung“ deuten, aber laut Koran auch mit „qital/Kampf“ verbinden. Doch schreibt der Koran strenge Regeln für die Durchführung des Djihad als „Kampf/qital“ gegen Ungläubige vor.

Alle Terroranschläge der islamistischen Djihadisten dagegen, vom 11. September bis zum 11. März, sind aus dem Hinterhalt, also ohne Beachtung der Regeln durchgeführt worden. Die Urheber des neuen Djihad, die sich als „die wahren Muslime“ verstehen, sind Terroristen, die für einen neuen Totalitarismus kämpfen. Muslime sind herausgefordert, hierüber nicht zu schweigen und sich an einem ‚Aufstand der Anständigen“ gegen Terror und gegen die Djihadisten zu beteiligen.


Totalitäre Ordnung

Nicht jeder Islamismus ist ein Djihad-Terrorismus. Es gibt institutionelle Islamisten, die einen Marsch durch die Institutionen ohne Gewalt anstreben. Dagegen wollen Djihadisten eine „permanente Revolution“ zur Islamisierung der Welt durchführen.

Der 1957 geborene Bin Laden ist ein Schüler des 1966 gehenkten Sayyid Qutb. Dieser ist der geistige Vater der Idee der „Hakimiyyat Allah/Gottesherrschaft“, also der politischen totalitären Ordnung. Sie soll durch den Djihad verwirklicht werden und wird bereits bei Qutb mit einer neuen Interpretation des Djihad verbunden. Er ruft in seinen in der al-Qaida-Bewegung als Pflichtlektüre gelesenen Schriften zu einer „totalen Revolution zur Verwirklichung der Gottesherrschaft“ auf. Wie Qutb es sieht, kann es nur dann Frieden geben, wenn der Islam global vorherrsche; somit sei „eine Weltrevolution mittels Djihad“ als Voraussetzung für den islamischen Weltfrieden erforderlich.

Dieses heute sehr populäre Erbe Qutb‘s hat Osama Bin Laden übernommen und den „permanenten Djihad“ zu einem „globalen Djihad“ weiterentwickelt, womit er die islamische Weltrevolution gegen die westliche Hegemonie meint.

Wir müssen die Kultur der „Political Correctness überwinden, um über den Geist des Djihadismus und sein Endziel der „Hakimiyyat Allah/Gottesherrschaft“ als totalitärer Ordnung nicht nur für die Welt des Islam, sondern auch für den Rest der Welt aufzuklären.

Im Geiste von Qutb und al-Banna führen Islamisten heute eine „islamische Weltrevolution“ durch, um die von ihnen anvisierte Ordnung für die gesamte Welt durchzusetzen. Diese Einstellung ist zwar vom Geist eines toleranten und vernunftorientierten Islam her unislamisch, aber Qutb und al-Banna waren einflussreich, und heute kennt sie jeder jugendliche Muslim, wohingegen etwa der tolerante Mystiker al-Arabi und der Rationalist Ibn Ruschd in kollektive Vergessenheit geraten sind. Der Djihad-Totalitarismus ist heute unter der jungen Generation sehr populär. Die Nähe dieses neuen Totalitarismus zu Faschismus und Stalin-Kommunismus wird dabei von den Urhebern selbst gesehen und nicht bestritten.

Der Rückgriff in meinem Buch „Der neue Totalitarismus“ auf Hannah Arendt ist also gerechtfertigt; sie unterteilt den Totalitarismus in „Herrschaft“ und „Bewegung“. Noch ist dieser islamistische Djihadismus nur eine Bewegung, aber seine „Hakimiyyat Allah“ ist eine Schreckensvision für die Zukunft der Welt. Wer für die Freiheit steht, muss die offene Gesellschaft rechtzeitig gegen ihre Feinde verteidigen und nicht im Namen falscher Toleranz für ihre Duldung eintreten.


Bassam Tibi lehrt Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen und ist parallel seit 2004 A.D. White Professor-at-Large an der US-Elite-Hochschule Cornell University; 2003 war er Gastprofessor an der Islamischen Staatsuniversität in Jakarta/Jndonesien und für Islamologie an der Universität St. Gallen. Dieser Artikel enthält die zentrale These des vor kurzem erschienenen Buches „Der neue Totalitarismus (Primus-Verlag 2004).

Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Professor Bassam Tibi.
 
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© 2005 J. Scherer