Kampagne für ‘Saubere’ Kleidung
adidas-Produktion in El Salvador
Vom Privileg, sich krank zu schuften

Maik Pflaum

Seit Jahresbeginn gehen neue Nachrichten über die schlechten Arbeitsbedingungen, die bei adidas-Zulieferern in El Salvador herrschen, bei der CIR ein. In presente 2/02 berichteten wir ausführlich darüber. Zwang zu Überstunden, Kameraüberwachung der NäherInnen und verunreinigtes Trinkwasser für die ArbeiterInnen werden beklagt. adidas leugnet derweil beharrlich. CIR-Mitarbeiter Maik Pflaum recherchierte vor Ort und begleitete ein ZDF-Team. Die Reportage zum adidas-Zulieferer Chi Fung wurde am 23. Oktober in der Sendung „ZDF.reporter“ ausgestrahlt.

Im Juli begleitete ich ein Team der ZDF-Sendung „Reporter“ nach El Salvador. Was hat es auf sich mit den Vorwürfen, die von der Kampagne für ‘Saubere’ Kleidung gegen Betriebe erhoben werden, die für adidas Sportkleidung herstellen? Das ZDF-Team wollte dem Ganzen auf die Spur gehen, mit ArbeiterInnen reden, die für adidas nähen, ihre Lebensbedingungen filmen und in einen Maquilabetrieb, wie die Weltmarktfabriken in Mittelamerika genannt werden, hineinschauen – am liebsten in den Betrieb Chi Fung, gegen den der Vorwurf erhoben wurde, dass das Trinkwasser hochgradig verunreinigt sei.

Die Anmeldung des Besuchs sollte viel Wirbel hervorrufen. Gregg Nebel, der adidas-Sozialverantwortliche für Nord- und Südamerika, kam eigens aus den USA für unseren Besuch angeflogen. Und selbstverständlich war eine Besichtigung der Maquila Chi Fung dieses Mal möglich.

Wir hatten in El Salvador Gelegenheit, mit verschiedenen ArbeiterInnen zu sprechen, die früher adidas-Produkte in den Maquilas Chi Fung und Hermosa nähten oder dies aktuell noch tun. Einige der NäherInnen berichteten, sie seien von der Firmenleitung gewarnt worden, es kämen „Fremde“, um ihnen Fragen zu stellen. Sie sollten aber nicht mit ihnen sprechen, da diese nur wollten, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Trotz der Einschüchterungsversuche waren mehrere Arbeiterinnen zu einem Interview bereit.

Eine Arbeiterin berichtete, sie habe vier Jahre lang bei Chi Fung gearbeitet, dann allerdings gekündigt, da sie die schlechten Arbeitsbedingungen nicht mehr ertragen konnte. „Als wir anfingen für adidas zu produzieren, führte adidas Befragungen der ArbeiterInnen durch. Der Zuständige der Firma Chi Fung bestimmte, wer von uns an diesen Befragungen teilnahm. Sie schickten nur Leute, die nicht „rebellisch“ waren, die nichts Unerwünschtes erzählen würden, die nicht sagten, dass sie uns schlecht behandeln. Sie fragten, ob das Wasser, das sie uns geben, gut sei, ob sie uns die Überstunden bezahlen, ob sie fristgerecht zahlen und so weiter.“

Über die Wasserqualität bei Chi Fung gab die Arbeiterin an, dass das Wasser zwar gefiltert sei. „Doch manchmal hat man darin kleine Eier von Insekten gefunden und ein anderes Mal Haare. Und wenn man das der Zuständigen gemeldet hat, erwiderte diese: ‚Das ist von euch, das Wasser kommt sauber.’ Die Filter haben sie alle zwei bis drei Monate kontrolliert. Meistens haben wir uns Wasser in kleinen Tüten gekauft, draußen. Ich bin von dem Wasser, das es bei Chi Fung gibt, krank geworden. In der Maquila gibt es eine Gesundheitsstation. Damit wir nicht draußen in eine Klinik des öffentlichen Gesundheitssystems gehen. Ich war mehrmals in der Gesundheitsstation und habe dem Doktor gesagt, dass meine Magenschmerzen vom Trinkwasser herrühren. Das Wasser roch, was auch andere KollegInnen dem Arzt mitteilten. Der Arzt hat mir Medizin gegeben, aber es wurde nicht besser.“

Eine andere Arbeiterin, die noch bei Chi Fung arbeitet, war sich sicher, dass ihre Magenprobleme mit der schlechten Wasserqualität in der Fabrik zusammen hängen. Denn immer, wenn sie sich außerhalb der Fabrik Trinkwasser gekauft habe, sei es ihr besser gegangen.

Die Berichte der ArbeiterInnen über die schlechte Wasserqualität sprechen eindeutig gegen die Behauptung von adidas, das Wasser in der Firma Chi Fung sei sauber. Um dies auch wissenschaftlich untersuchen lassen zu können, besorgten uns zwei Arbeiterinnen Wasserproben aus den Firmen Chi Fung und Hermosa. Sie benutzten dabei sterile Gefäße aus einem Labor. Die Analyse der Proben ergab eine starke Verschmutzung des Wassers. Bei Chi Fung war der Grenzwert für die Belastung mit heterotrophen Bakterien um das 130-fache, in Hermosa um das 34-fache überschritten.

Vor diesem Hintergrund konnte Gregg Nebel seine Behauptung nicht mehr aufrecht erhalten, dass den 900 ArbeiterInnen bei Chi Fung gekauftes Flaschenwasser bereitgestellt werde.

Wie sehr die ArbeiterInnen auf die kostenlose Bereitstellung von Trinkwasser angewiesen sind, verdeutlichte ein Gespräch mit Carmen. Von ihrem gesetzlich festgelegten Mindestlohn, der 140 Euro im Monat beträgt, muss sie 48 Euro für Miete sowie 13 Euro für Wasser und Strombezahlen. Hinzu kommen die Kosten für den Bus, das Schulgeld und vieles mehr. Für die Lebensmittel bleibt gerade noch ein Euro pro Tag übrig, für sie und ihre Tochter.

Nur zu offensichtlich ist, dass die Zahlung des Mindestlohns unzureichend ist. Und trotzdem, die NäherInnen sind auf die Arbeitsplätze in den Maquilas angewiesen. Die Arbeitslosigkeit in El Salvador ist hoch, und die Alternativen, als Hausangestellte oder StraßenverkäuferIn zu arbeiten oder in der Prostitution, sind noch schlechter. Die Promotorin einer salvadorianischen Frauenorganisation beschrieb die Situation so: „Wir Frauen befinden uns in einem riesigen Widerspruch: Wir werden in den Maquilas ausgebeutet. Wir müssen in den Fabriken viele Stunden arbeiten. Das Produktionssoll ist unglaublich hoch. Sie zahlen uns einen Lohn, der nicht ausreicht und vielleicht ein Drittel unserer Lebenshaltungskosten abdeckt. Und dennoch wissen wir, dass es gleichzeitig ein Privileg ist, in diesem Land Arbeit zu haben, in einem Land mit so vielen Arbeitslosen, in einem Land, in dem die Frauen die Verantwortung für die Familie tragen. Wir sind nicht gegen die Maquilas, wir sind gegen die Bedingungen, unter denen gearbeitet wird. Wir sind dagegen, dass die transnationalen Konzerne wie adidas keinerlei soziale Verantwortung übernehmen. Und sie müssen sie übernehmen, denn sie erwirtschaften ihre Gewinne mit der Arbeitskraft der Frauen Zentralamerikas und anderer Länder!“

Um Geld zu sparen, wohnen viele der ArbeiterInnen in armen Gegenden, die sie oftmals nur zu Fuß erreichen können. Müssen sie Überstunden leisten, kommen sie erst nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause. Einige der Frauen berichteten von Belästigungen, manchmal auch von Vergewaltigungen auf dem Heimweg und dass sie Angst hätten, im Dunkeln durch die Armenviertel zu laufen.

Auf die Frage, was das Schlimmste in den Fabriken sei, antworteten die meisten, der hohe Arbeitsdruck. Gearbeitet wird im Akkord. Um das Soll zu schaffen, bleibt kaum Zeit, um auf die Toilette zu gehen oder einmal ruhig durchzuatmen. In der Mittagspause rennen die ArbeiterInnen in die Kantine, um keine Zeit zu verlieren. Der geringen Löhne wegen versuchen sie, das Produktionssoll zu schaffen, um einen Zuschlag zu erhalten. Diese Form des Drucks scheint dem Management aber nicht auszureichen: Die Arbeiterinnen in Chi Fung werden von Kameras überwacht. Eine Arbeiterin meinte, sie fühle sich wie ein Tier im Käfig – total kontrolliert.

An der Wand bei Chi Fung über den Köpfen der Näherinnen hängt ein riesiges Transparent. „Zusammen leben ist ein Anfang. Zusammen bleiben ist ein Fortschritt. Zusammen arbeiten ist Erfolg!“ ist darauf in Meter großen Buchstaben zu lesen.

Die Einhaltung sozialer Mindeststandards und deren unabhängige Kontrolle in den Zulieferbetrieben des adidas-Konzerns – das wäre wahrlich ein Erfolg!!!

(Die CIR hat einige Kopien der Reportage auf VHS. Bitte fragen Sie bei Interesse telefonisch unter 0251-89503 bei uns an!

© Christliche Initiative Romero 2002 | Vervielfältigungen sind erwünscht

Quellennachweis:

Christliche Initiative Romero, Heft 4/2002
www.ci-romero.de
 
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© 2004 J. Scherer
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