Vorbemerkungen zu den Berichten über die Näherinnen in den Sportartikelfabriken in Südamerika und Asien

Die Sklaverei ist längst schon abgeschafft, und trotzdem gibt es sie noch. In den Maquilias in Südamerika, Asien und Osteuropa schuften Frauen für einen Hungerlohn in Firmen mit internationalem Ruf. Sie werden wie Gefangene gehalten, dürfen ihren Arbeitsplatz nur zweimal am Tag verlassen, um auf die Toilette zu gehen und setzen ihre Gesundheit aufs Spiel, indem sie viel zuwenig oder Wasser von schlechter Qualität trinken. Trotz Lippenbekenntnissen der Hersteller hat sich bis heute nichts an der Situation der Näherinnen geändert. Die Kritik wird deshalb in den Medien immer lauter. Bleibt zu hoffen, dass verantwortungsbewußte Sportler und Vereine die Marken wechseln, bis bessere Arbeitsbedingungen verwirklicht sind.


Bayerischer Rundfunk
report MÜNCHEN

Schuften für Olympia - Wie Näherinnen von der Sportartikelindustrie ausgebeutet werden

Noch vier Tage bis zu den Olympischen Spielen. Die Sportartikelhersteller geben viel Geld aus, um ihre Marken mit den ehrenwerten olympischen Idealen wie Fairness und Solidarität in Verbindung zu bringen. Allein für adidas werden 4.000 Athleten in den berühmten drei Streifen antreten. Doch die Näherinnen in den Zulieferbetrieben haben nichts vom olympischen Glamour: Hungerlöhne, Zwangsüberstunden, extremer Arbeitsdruck und Schikanen sind - so die report Recherchen - an der Tagesordnung.

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Bayerischer Rundfunk
report MÜNCHEN

Sendung vom 09.08.2004

Schuften für Olympia - Wie Näherinnen von der Sportartikelindustrie ausgebeutet werden

Autoren: Mike Lingenfelser und Sandra Dusch

Der Olympische Geist, so heißt es in der Olympischen Charta, ist darauf gerichtet, eine Lebensweise herbeizuführen, die auf die Freude am körperlichen Einsatz, auf den erzieherischen Wert des guten Beispiels und auf die Achtung fundamentaler und universell gültiger ethischer Prinzipien gegründet ist. Mit Fair Play zum Ruhm?
Sie zählen schon jetzt zu den Verlierern der Olympischen Spiele. Die Näherinnen der Sportbekleidungsindustrie; sie fertigen Trikots für den deutschen Hersteller Adidas, einem der Hauptsponsoren von Olympia. Hinter streng gesicherten Mauern – sie schuften für Hungerlöhne, bis zur Erschöpfung: Im Adidas-Zulieferbetrieb Chifung in El Salvador. Die ehemalige Näherin Sonia Campos sagt:

„In den Fabriken ist die Arbeit sehr hart und für uns Frauen ohne Würde. Jetzt für die Olympischen Spiele mussten die Arbeiterinnen noch mehr produzieren. Sie arbeiten länger und kommen deshalb erschöpft nach hause, haben am ganzen Körper Schmerzen. Und damit sie dieses Leben voller Arbeitsdruck aushalten, nehmen manche Arbeiterinnen Tabletten und werden abhängig.“

Sonia Campos hat sich kürzlich als Arbeiterin getarnt in verschiedenen Fabriken San Salvadors anstellen lassen und verdeckt recherchiert. Sie arbeitet für eine amerikanische Entwicklungshilfeorganisation. Früher war sie selbst Näherin in Textilfabriken, den sogenannten Maquilas. Doch sie wurde gefeuert, weil sie gegen die Ausbeutung protestiert hatte. Sonia Campos bringt report München zu einer Näherin, die beim adidas-Partner Chifung arbeitet. Sie will unerkannt bleiben – aus Angst vor Repressalien und Rausschmiss. Sie erzählt:

„Sie verlangen ein höheres Arbeitspensum; und auch wenn wir die Arbeit schaffen, zahlen sie oft nicht mehr. Aber wenn sie so große Mengen bestellen, dann sollten sie die Überstunden auch zahlen.“

Sonia Campos erklärt:

„Mit Überwachungskameras werden die Frauen kontrolliert. Wenn eine Arbeiterin mal ihren Platz verlässt, wird sie über Lautsprecher ausgerufen und zurecht gewiesen, damit sie weiterarbeitet und keine Zeit verliert.“

Auch in dieser streng bewachten Anlage wird für Adidas produziert: Die Maquila Hermossa. Wieder trifft report München eine Arbeiterin. Wieder müssen wir ihre Identität geheim halten, um sie zu schützen.

Frage report München: „Gibt es Probleme, wenn du auf die Toilette gehen willst?“

Antwort Näherin: "Ja. Sie erlauben uns nur zweimal am Tag aufs Klo zugehen."

"Zwei Mal?"

"Ja. zwei mal."

"Kannst du nicht gehen, wann du willst?

"Doch, doch – aber nur zwei Mal mal Tag."

Sonia Campos erzählt weiter:

„Mittags hält man die Hitze in der Fabrik kaum noch aus; die Frauen leiden schnell unter Blasen- und Harnwegsentzündungen. Es ist da einfach ein Risiko bei dieser Hitze, kaum Wasser zu trinken.“

report München fragt nach in der Adidas-Zentrale in Deutschland. Die Vorwürfe weist man zurück. Aber so ganz rausreden kann man sich dann irgendwie doch nicht. Frank Henke von adidas-Salomon sagt:

„Wir stellen natürlich Probleme in den Zulieferbetrieben fest. Das ist Bestandteil unseres Überwachungssystems. Wir adressieren diese ernsthaft und verlangen im Rahmen unserer Möglichkeiten Abhilfemaßnahmen durch das Management.“

Dies versucht adidas – genau wie Nike – zum Beispiel mit einem Verhaltenskodex, den die Zulieferbetriebe unterschreiben müssen. Tatsächlich bemüht sich adidas mehr als manch anderer Sportartikelhersteller; doch der Entwicklungshelfer Maik Pflaum von der Christlichen Initiative Romero vermisst bisher deutliche Verbesserungen vor Ort:

„Das große Problem ist, dass die Fabriken in El Salvador unter einem unglaublichen Druck stehen, schnell und billig an adidas liefern zu können und diesen Druck an die Näherinnen weitergeben, oftmals weitergeben müssen. Insofern ist kaum ein Spielraum da, dass der Verhaltenskodex von adidas umgesetzt werden kann.“

Im Verhaltenskodex erklärt adidas auch, dass die Grundlöhne der Näherinnen: „mindestens den Lebensunterhalt und darüber hinaus einige zusätzliche Ausgaben abdecken müssen“.

Doch ein Besuch auf dem Markt in San Salvador beweist das Gegenteil. Hier kaufen die Näherinnen ein; und schon hier stoßen sie mit ihrem Stundenlohn von unter einem Dollar an ihre Grenzen, wie Sonia Campos weiß:

„Das Pfund Bohnen koste 57 Cent, das Pfund Reis 31 Cent, das Milchpulver für die Kinder 2 Dollar 40. Das Gehalt ist einfach zu gering! Außerdem müssen wir ja noch Miete und den Bus zur Arbeit bezahlen.“

Nach dem Knochenjob in den vielen Maquilas von San Salvador suchen einige nach einer weiteren Arbeit – und die gibt es oft nur auf der Straße. Eine Prostituierte sagt gegenüber report München:

"Drei Kinder habe ich, und eine Nichte."

Frage report München: "Und dafür gehst du anschaffen?"

Antwort: "Ja, ich brauch das Geld für Wasser, Strom, Schulgebühren. Und das Gehalt von der Maquila reicht nicht.“

Die Hungerlöhne der Maquila-Arbeiterinnen – sie gehören zum Kalkül der Sportbekleidungsindustrie. Es geht um die Rendite. Frank Henke von adidas-Salomon sagt:

„Ich denke, es ist eine ökonomische Notwendigkeit, dass adidas-Salomon unter kostenoptimalen Gesichtspunkten produziert. Sie dürfen nicht vergessen, dass in den Entwicklungsländern, in den Schwellenländern die Textilindustrie eine Einstiegsindustrie ist und eine Vielzahl von Beschäftigung schafft.“

Maik Pflaum von der Christlichen Initiative Romero meint dagegen:

„Solange ein Konzern wie adidas die Zulieferfirmen gegeneinander ausspielt und Aufträge dort platziert, wo die Arbeitsbedingungen am günstigsten sind, läuft jede Zulieferfirma Gefahr - sollte sie die Arbeitsbedingungen verbessern und somit etwas höhere Kosten verursachen - keine Aufträge zu bekommen, weil sie wieder dorthin vergeben werden, wo es am billigsten ist."

Sie fordern Fair Play von den Sportartikelherstellern. Die Kampagne für saubere Kleidung macht eine Fahrraddemo von Belgien nach Athen zu den Olympischen Spielen. Ein belgischer Demonstrant sagt:

„Lasst uns hoffen, dass man unsere kleine Kampagne beachtet.“

Sie wollen, dass sich ihr Logo gegen die großen Sportmarken durchsetzt. Früher oder später. Doch bis Athen ist es ein weiter Weg.


Quellennachweis:

report München: Sendung vom 09.08.2004
www.br-online/daserste/report/

 
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© 2004 J. Scherer
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