Hintergrund
medico im Nordirak: Wiederaufbau und Minenaufklärung

Seit Ende der 1980 er Jahre leistet medico in den kurdischen Gebieten Menschenrechtsarbeit und umfassende Wiederaufbauhilfe. medico international war u.a. maßgeblich an der Veröffentlichung von Technologietransfer deutscher Firmen an das ehemalige irakische Regime von Saddam Hussein beteiligt, die mitursächlich für das irakische Chemiewaffenprogramm waren. Nachdem die kurdische Schutzzone im Nordirak errichtet wurde, unterstützte medico international ab 1991 mit insgesamt 20 Millionen D-Mark die Bemühungen der Kurdinnen und Kurden um den Wiederaufbau ihrer durch die Baath-Diktatur zerstörten Lebenswelten. Neben der Instandsetzung einer zivilen Infrastruktur (Bau von Straßen und Brücken, Brunnen, Schulen und Gesundheitsstationen; landwirtschaftliche und veterinärmedizinische Ausbildungsprogramme für Kleinbauern) widmete medico sich der allgegenwärtigen Minenproblematik in der ca. 40.0000 qm umfassenden kurdischen Schutzzone, die in etwa die Größe Nordrhein-Westfalens hatte. Hier lagen noch zu Beginn der 1990er Jahre geschätzte 20 Millionen Landminen vergraben, die jede Rückkehr der Flüchtlinge unmöglich machte. Trotz rigider Beschränkungen – die Türkei verweigerte die Einführung von Minensuchgeräten in den Nordirak – kartographierte medico mit seinen kurdischen Partnern die Minenfelder und begann gemeinsam mit den Institutionen der kurdischen Regionalverwaltung u.a. mit Hinweisschildern, Plakaten, Radio und TV-Spots vielfältige Minenaufklärungsprogramme durchzuführen. Ein wichtiger Partner medicos ist seit Mitte der 1990er Jahren die Kurdistan Health Foundation (KHF). Die KHF gründete sich 1984 als Initiative kurdischer Ärzt / innen und Gesundheitsarbeiter / innen. In den 1980 er Jahren versorgte sie Opfer der irakischen Giftgas- und Militärangriffe. Im Anschluss an dem Golfkrieg leistete sie kurdischen Flüchtlingen im Iran Nothilfe und übernahm später die Versorgung rückkehrender Flüchtlinge im irakisch-iranischen Grenzgebiet. Seit der Übernahme des kurdischen Gesundheitswesens durch die kurdische Regionalregierung 1992 konzentriert sich die KHF auf den Bereich gesundheitlicher Prävention. Mit speziellen technischen Teams beteiligt sich die KHF auch am Bau von Trinkwasseranlagen und Gesundheitsstationen in ländlichen Regionen. In Vorbereitung auf den alliierten Angriff auf den Irak entwickelte die KHF ein Nothilfeprogramm mit zusätzlichen Mobilen Kliniken für die ländlichen Gebiete und Nothilfeteams in der Stadt Suleimania, in der die KHF ihre Zentrale hat. Die vorbereiteten Dekontaminierungsteams für den Fall der befürchteten Giftgasangriffe durch die irakische Armee mussten glücklicherweise nicht eingesetzt werden. Auch dieses Nothilfeprogramm wurde von medico mit umfangreichen Mitteln unterstützt.


Zur Minenproblematik im Irak

Sowohl die kurdischen Regionen im Norden als auch die schiitischen Regionen im Süden des Irak sind in hohem Maße von Landminen verseucht. Das Hussein-Regime setzte die Waffe in den vier Jahrzehnten Krieg und Bürgerkrieg, die der Irak erlebt hat, bevorzugt an der Grenze zum Iran aber auch gegen die eigene Bevölkerung ein. Durch den jüngsten Krieg sind im Irak auch noch weitere minenähnliche Kriegshinterlassenschaften dazu gekommen. Der massive Einsatz von Clusterbomben durch amerikanische und britische Truppen hat ganze Regionen zu no-goareas gemacht. Die hohe Blindgängerrate bei Clusterbomben führt dazu, dass die nichtexplodierten Bomblets ähnlich wie Minen ganze Landstriche unbegehbar machen und aufwändig unter anderem vom medico-Partner, MAG (Mines Advisory Group) geräumt werden müssen. Schon vor der Invasion 2003 gab es im Irak 220 Millionen qm Land, das noch nicht von Minen geräumt worden war und die Bewegungsfreiheit von Menschen in mehr als 1000 Dörfern und Städten einschränkte. Schätzungen im November 2003 gehen davon aus, dass ungefähr 600.000 Tonnen ungesicherte Munition über das Land verteilt liegen, die heute eine der Hauptbedrohungen für die Entwicklung des Landes darstellen.

Im Oktober 2003 bezeichnet die UNO den Irak auf Basis der vorhandenen Unfalldaten als das Land mit der weltweit größten Gefährdung durch Landminen und Munitionsreste. Zwischen 1997 und 2003 wurden durch das UN Anti-Minen-Programm mehr als 12,2 Millionen qm Land von Minen und Munitionsresten gesäubert. Dabei wurden mehr als 79,000 UXO, 2.500 cluster bomblets, 11.000 Antipersonenminen und 560 Anti-Fahrzeugminen zerstört. Zusätzlich wurden 3,7 Millionen qm Land gesäubert, 54.959 Minen und 4.500 cluster bomblets zerstört. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum bis Ende 2003 13.672 Minen- und Munitionsunfälle registriert. Dabei starben 4.551 Menschen, 9.121 wurden verletzt.

Minenaufklärung in Afghanistan. Foto medico international 2004

Unterstützung für kurdischen Film
Medico international beteiligt sich am deutschen Kinostart von »Schildkröten können fliegen«.

Die Frankfurter Hilfsorganisation medico international, die neben anderen 1997 für die Kampagne gegen Landminen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, unterstützt den deutschen Kinostart des jüngsten Films von Bahman Ghobadi, einem der renommiertesten kurdischen Filmemacher. Ghobadis »Auch Schildkröten können fliegen« ist auf der Berlinale erstmals in Deutschland zu sehen und zeigt die Geschichte kurdischer Waisenkinder, die Landminen bergen, um zu überleben. Entstanden ist der Film im Jahr 2004 an der Grenze des irakischen Kurdistan zur Türkei unmittelbar vor der Irak-Invasion USamerikanischer und britischer Truppen.

Auf tragisch-komische Weise wird hier ein differenziertes Bild der aktuellen Situation im kurdischen Irak gezeichnet. medico international unterstützt den Kinostart des Films, weil »in dem Film am Beispiel der Mine deutlich gemacht wird, wie dauerhaft die Schäden eines Krieges für die Zivilbevölkerung sind«, so Thomas Gebauer, Geschäftsführer von medico international. Zugleich, so Gebauer, versuche der Film eine eigene Geschichte von unten zu schreiben. »Das ist ein Stück Demokratie von unten«, erklärte Gebauer, »wie sie für eine unabhängige Entwicklung im Irak so dringend nötig ist.« Die sozialmedizinische Hilfsorganisation aus Frankfurt engagiert sich nicht nur seit Beginn der 90 er Jahre aktiv gegen den Einsatz aller Landminen, sondern hat ebenfalls zu Beginn der 90 er Jahre ein großes Wiederaufbauprogramm im kurdischen Nordirak zugunsten der vom Hussein-Regime grausam verfolgten kurdischen Bevölkerung ermöglicht.


Für Nachfragen wenden Sie sich bitte an: Katja Maurer, medico-Presse: (069) 944 38 29, (0171) 122 12 61 Martin Glasenapp, (069) 944 38 21

Quellennachweis: Text- und Bildmaterial: www.mintos.com. Hier finden Sie weitere Informationen zum Film.

 
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